„Left eye, TT absent. TF absent. TI absent.“ Tapfer hält der achtjährige Dawit still, während Praxis-Assistent Bonso ihn auf Anzeichen von Trachom untersucht.

Dafür wird Dawits Augenlid nach oben geklappt und das Auge selbst sowie das Bindegewebe untersucht. Ist es frei von Entzündungen kann Bonso Entwarnung geben. Dawits Augen sind zum Glück gesund und er wird mit einem herzlichen „Tapfer, tapfer!“ von Bonso wieder zurück zu seinen Freunden geschickt. „Seit vier Jahren beteilige ich mich an solchen Evaluierungen“, erzählt der junge Mann, der gewöhnlich in einem Krankenhaus nahe der Stadt Shashemene arbeitet. Derzeit ist er jedoch mit sieben weiteren Kollegen in den Projektregionen Abune Ginde Beret und Ginde Beret unterwegs, um zu überprüfen, ob die fünfjährige Schwerpunkaktion zur Bekämpfung von Trachom auch gefruchtet hat. „Auch an den Studien zur Erstellung der World Trachoma Map war ich bereits beteiligt“, erzählt Bonso während er seine Hände für die nächste Untersuchung desinfiziert. Diese Weltkarte zeigt, in welchen Regionen Trachom noch vorkommt – und zu welchem Grad. Länder wie Österreich sind auf dieser Karte weiß eingezeichnet. Doch vor gut hundert Jahren hätte das anders ausgesehen.

Eine Krankheit mit Geschichte

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gehörte Trachom noch zu den Hauptgründen, weshalb potenziellen EinwanderInnen die Einreise in die Vereinigten Staaten verwehrt blieb. Eine Untersuchung auf Anzeichen von Trachom gehörte in den Hallen von Ellis Island vor den Toren New Yorks zum Standardprozedere. Damals ging man mit den Menschen aber nicht so sanft um, wie Bonso heute mit dem kleinen Dawit. Auf Ellis Island kam ein Haken zum Einsatz, um das Augenlid nach oben zu stülpen.

Drohende Erblindung

Die bakterielle Erkrankung macht sich zunächst durch entzündete Follikel auf der Innenseite der Augenlider bemerkbar. In diesem Stadium ist die Erkrankung leicht behandelbar: Antibiotische Augensalben lösen das Problem in der Regel. In Ländern wie Äthiopien jedoch kommen Kinder und vor allem Frauen häufiger mit dem Bakterium in Kontakt. Chronische Trachom-Erkrankungen führen dazu, dass die Innenseite des Augenlids vernarbt und sich langsam nach innen dreht. Die Wimpern beginnen auf der Hornhaut zu kratzen. Eine besonders schmerzhafte Erfahrung, die unbehandelt zur unwiederbringlichen Erblindung führen kann. In diesem Stadium hilft nur noch eine Operation, die auch von geschultem Gesundheitspersonal durchgeführt werden kann.

Better S.A.F.E. than sorry

Krankenpfleger und -schwestern von Menschen für Menschen führen solche Trichiasis-Operationen regelmäßig durch, um das Augenlicht der PatientInnen zu retten. Um Trachom und die schwerwiegenden Folgen aber endgültig auszurotten, müssen auch die Hygienestandards verbessert werden. Ganz oben auf der Liste stehen dabei die Errichtung von Latrinen und der Zugang zu sauberem Wasser. Zusammengefasst hat diesen Zugang die Weltgesundheitsorganisation unter dem sogenannten S.A.F.E.-Ansatz: Surgery (Operationen), Antibiotics (antibiotische Mittel), Facial Cleanliness (Hygienemaßnahmen) und Environmental Improvement (sauberes Wasser und Latrinen).

Wird dieser umfassende Ansatz konsequent durchgeführt, lässt sich Trachom langfristig bekämpfen. Das zeigt auch die Untersuchung, die Bonso gemeinsam mit anderen Kollegen in den Projektregionen Abune Ginde Beret und Ginde Beret durchgeführt hat. Hier waren zu Beginn unserer Arbeit über die Hälfte der unter Zehnjährigen von einer Infektion mit Trachom betroffen. Die Weltgesundheitsorganisation sieht bereits verstärkten Handlungsbedarf, sobald 10 Prozent der Kinder betroffen sind. Deshalb startete Menschen für Menschen im Mai 2012 eine Schwerpunktaktion zur Behandlung und Vermeidung von Trachom. Wie von der WHO empfohlen, wurde die Bevölkerung jährlich mit entzündungshemmenden Mitteln versorgt. 85% der Bevölkerung mussten dabei jedes Jahr zumindest erreicht werden – eine große logistische Herausforderung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in diesen entlegenen Regionen. Im Schnitt wurden so jedes Jahr über 200.000 Menschen versorgt. Zusätzlich wurden Operationen durchgeführt, um Menschen, die bereits vom letzten Stadium der Krankheit betroffen waren, das Augenlicht zu retten.

Hygiene & Wasser: Ein unschlagbares Duo

Während sich die Verteilung von Medikamenten und die Durchführung von Operationen auf die reine Behandlung der Krankheit konzentrieren, ist es für die Vorbeugung und damit langfristige Bekämpfung von Trachom wichtig, Hygienemaßnahmen umzusetzen und den Zugang zu sauberem Wasser zu sichern. Beides Maßnahmen, die essentielle Bestandteile des Ansatzes von Menschen für Menschen sind und gemeinsam mit den anderen Komponenten dazu führen sollten, dass Trachom der Vergangenheit angehört.

5 Jahre später: Das Ergebnis

Was haben Bonso und seine Kollegen also bei ihrer Untersuchung herausgefunden? Tatsächlich hat sich gezeigt, dass die Zahl der unter Zehnjährigen, die von Trachom betroffen sind, drastisch gesunken ist: in Ginde Beret von ursprünglich 62% auf 6,2% sowie in Abune Ginde Beret von ursprünglich 50% auf 3,2%. Eine immense Verbesserung und somit ein großer Erfolg für die Bekämpfung von Trachom. In Abune Ginde Beret wurde das von der WHO vorgegebene Ziel „unter 5%“ erreicht. Das heißt, hier werden weiterhin Maßnahmen umgesetzt, um die Hygienestandards zu verbessern, es muss allerdings keine flächendeckende Ausgabe von entzündungshemmenden Mitteln mehr durchgeführt werden. Anders in Ginde Beret: Hier wird noch eine Runde ausgegeben, um anschließend durch eine weitere Untersuchung festzustellen, ob die Aktion ihre Wirkung erzielt hat. Bis die beiden Regionen schließlich für „trachomfrei“ erklärt werden können, dauert es allerdings noch. Denn erst in drei Jahren wird es wieder heißen: „Schau mir in die Augen, Kleines!“, wenn eine Folgeuntersuchung zeigen wird, ob der Erfolg von heute Bestand hat. Gut Ding braucht nun mal Weile.

Touchgerät, das bei Untersuchungen zur Dokumentation eingesetzt wird (Foto)

Zur Untersuchung gehören allerlei Fragen, die mit modernem Gerät gespeichert werden.

6.956 Paar Augen

Im Februar 2017 waren insgesamt vier Studienteams in den entlegenen Dörfern der Projektregionen Ginde Beret und Abune Ginde Beret unterwegs, um die Bevölkerung auf Anzeichen von Trachom zu untersuchen. Insgesamt wurden 6.956 Menschen untersucht – vom Kleinkind bis zur Großmutter.

Aber nicht nur die Augen wurden untersucht. Auch die anderen Komponenten der S.A.F.E.-Strategie flossen in die Untersuchung mit ein: So wurde auch verzeichnet, ob die Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser haben, ob es eine Latrine am Hof gibt und wie es um die hygienischen Umstände in den Haushalten bestellt ist.