Wer hungert hat weder Kraft noch Interesse am sozialen, wirtschaftlichen oder politischen Leben teilzunehmen. Dies hemmt die Entwicklung eines Landes ungemein. Durch eine ausreichende Ernährung wird eine nachhaltige Veränderung möglich.

Das tägliche Brot Äthiopiens ist Injera. Ein Fladenbrot, das aus dem Mehl der Hirsepflanze Teff zubereitet wird: Dazu wird meist Shiro, eine scharfe Soße aus Bohnenmehl, Wasser und Berbere, einem scharfen äthiopischen Gewürz, gereicht. Gemüse gibt es selten, Fleisch noch seltener zu essen, weil beides für sehr viele kaum leistbar ist. Reichhaltige Mahlzeiten sind für die vielen Kleinbauern sowieso die Ausnahme. Oft müssen sie sogar mehrere Monate im Jahr mit nur einer Mahlzeit pro Tag auskommen. Die tägliche Kalorienzufuhr liegt dann unter der von der FAO1 definierten Grenze für Hunger von etwa 1.800 Kilokalorien am Tag.2 Dies ist das Minimum, das die meisten Menschen für ein gesundes und aktives Leben benötigen. Doch selbst bei ausreichender Kalorienzufuhr ist die Folge dieser permanent vitaminarmen und sehr einseitigen Kost Mangelernährung – auch stiller Hunger genannt. Dieser hat zur Folge, dass der menschliche Körper zu wenig Proteine, Vitamine und Mineralstoffe erhält und daher seine physiologischen und geistigen Aktivitäten einschränkt.

Stiller Hunger – Drastische Auswirkungen für Mütter und Babys

Insbesondere für Mütter und Babys sind die Folgen besonders drastisch, denn Mangelernährung verursacht Frühgeburten, erhöhte Sterblichkeit, ein geschwächtes Immunsystem, körperliche Behinderungen und Einschränkungen in der kognitiven Entwicklung mit lebenslangen Auswirkungen. Daher geht es nicht nur darum, das Überleben von Menschen durch eine ausreichende Kalorienzufuhr zu sichern, sondern auch für eine ausreichende Versorgung mit Vitaminen und Mineralstoffen zu sorgen, die gerade im Kleinkindalter wesentlich für die Gesundheit und Entwicklung sind.

Wer hungert hat darüber hinaus weder Kraft noch Interesse am sozialen, wirtschaftlichen oder politischen Leben teilzunehmen. Dies hemmt aber die Entwicklung eines Landes ungemein. Der stille Hunger belastet die Volkswirtschaft und verlangsamt die ökonomische Aufwärtsentwicklung Äthiopiens. Daher schreitet die Entwicklung des Landes umso besser voran, je schneller der stille Hunger – die permanente Mangelernährung und deren Folgen – verschwunden ist.

1 FAO = Food and Agriculture Organisation of the United Nations

2 Zum Vergleich: Ein halbes Backhendl mit Kartoffelsalat hat etwa 1.400 Kilokalorien.

Mann mit Baumfrucht (Foto)

„Stiller Hunger“ bezeichnet die mangelhafte Versorgung mit Vitaminen und Mineralstoffen...

0-5 Jahre (Grafik)0-5 Jahre (Grafik)

0-5 Jahre
Die ersten 1.000 Tage nach der Empfängnis sind entscheidend für die körperliche und geistige Entwicklung eines Kindes. Bei Unterernährung werden Gehirn und Nervensystem schlecht entwickelt und das Immunsystem geschwächt. Dadurch leiden die betroffenen Kinder öfters an Anämie, Durchfallerkrankungen, Fieber und Infektionen der Atemwege. Auch die Kindersterblichkeit ist erhöht. 28% aller Sterbefälle bei Kindern in Äthiopien sind auf Unterernährung zurückzuführen.

6-18 Jahre (Grafik)6-18 Jahre (Grafik)

6-18 Jahre
Mangelernährte Kinder bzw. chronisch unterernährte Kinder gehen im Durchschnitt über ein Jahr kürzer zur Schule. 16% der Klassenwiederholungen in Grundschulen sind auf Unterernährung zurückzuführen. Dies erhöht die Kosten für Bildung und belastet das Schulsystem zusätzlich.

18-64 Jahre (Grafik)18-64 Jahre (Grafik)

15-61 Jahre
67% der erwachsenen Bevölkerung in Äthiopien waren als Kinder von Unterernährung betroffen. Dadurch haben sie meist einen geringeren Bildungsgrad und verrichten einfache manuelle Tätigkeiten. Zusammengefasst sind sie weniger produktiv und können dadurch weniger zur Wirtschaftsleistung und Entwicklung des Landes beitragen. Bei Frauen kann Unterernährung eine Schwangerschaft gefährden und dazu führen, dass Kinder bereits im Mutterleib und noch nach der Geburt geschädigt sind.

"The Social and Economic Impact of Child Undernutrition in Ethiopia”, prepared within the framework of the Memorandum of Understanding between the UN Economic Commission for Africa (ECA) and the World Food Programme (WFP)

Grünen Hunger verhindern

Der „grüne Hunger“ ist ein in Europa wenig wahrgenommenes Phänomen. Die Felder sind bereits saftig grün und die Bauern sehen bereits die nächste Ernte heranwachsen. Die Menschen jedoch haben nichts zu essen, die Getreidespeicher sind bedingt durch vorausgehende Missernten oder Ernteausfälle leer. Diese Missernten werden oft durch die voranschreitende Erosion verursacht. Mittels Terrassierung oder Pflanzung von Vetivergras kann das Abschwemmen des fruchtbaren Humus aber verhindert werden – eine wichtige Maßnahme für die Bauern. Denn wenn die Menschen bereits begonnen haben aus Hunger ihr Saatgut zu essen setzt dies eine Abwärtsspirale mit drastischen Folgen in Gang, die nur mehr schwer aufzuhalten ist.

Mit Obst und Gemüse den Kreislauf durchbrechen

Obst und Gemüse sind einfache und wirksame Mittel gegen Mangelernährung. Dafür braucht es aber entsprechendes Wissen über Anbaumethoden und Zugang zu, für die Region geeigneten, Setzlingen und Saatgut. Auch stellt das äthiopische Hochland ganz besondere Anforderungen an die Pflanzen. Daher vermittelt Menschen für Menschen in Landwirtschaftskursen alles Nötige über Anbau, Pflege und Vermehrung der „neuen“ Obst und Gemüsesorten. Dabei handelt es sich um für uns alltägliche Gemüsesorten wie Karotten, rote Rüben, Spinat oder Süßkartoffeln. Aber auch die landesüblichen Obstbäume wie Mango, Papaya oder Apfel sind in vielen Gegenden neu.

Letztendlich braucht es aber auch Wissen über die richtige und schmackhafte Zubereitung der neuen Nahrungsmittel, damit der gewünschte Effekt eintritt. Die Frauen werden in Hauswirtschaftskursen über die Bedeutung von Vitaminen und das Kochen insbesondere von Gemüse unterrichtet. Die Begeisterung über die Abwechslung am Speiseplan ist dabei groß. So gelingt es immer mehr Bauern mit ihren Familien dem Mangel an Vitaminen und Nährstoffen zu entkommen, sich selbst zu versorgen und darüber hinaus – nachdem der Eigenbedarf gedeckt ist – die geernteten Produkte zu verkaufen und auch Vorräte bzw. Reserven für Notzeiten oder künftige Ernteausfälle zu bilden.

Frau in Gemüsefeld (Foto)

...deshalb werden Gemüse- und Obstsorten in den Regionen bekannt gemacht.

Unterernährung Gesamtbevölkerung (Grafik)Unterernährung Gesamtbevölkerung (Grafik)

32%

der äthiopischen Gesamtbevölkerung ist von Unterernährung betroffen, also jeder Dritte. (FAO 2015)

Unterernährung Kinder (Grafik)Unterernährung Kinder (Grafik)

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Kindern in Äthiopien sind aufgrund chronischer Unterernährung unterentwickelt.3

3 The Social and Economic Impact of Child Undernutrition in Ethiopia, 2012